Krankenkassen sparen auf dem Rücken der Patienten
Hohe Teuerungsraten, massiv gestiegene Energiepreise und der umkämpfte Arbeitsmarkt stellen die ambulante Versorgung in Schleswig-Holstein zusehends vor existenzielle Probleme.
Schon seit Jahren verzeichnet der für die vertragsärztliche Vergütung ausschlaggebende Orientierungswert (OW) nur marginale Zuwächse jeweils unterhalb der Inflationsrate, die nicht einmal mehr dazu ausreichen, um die laufenden Betriebs- und Personalkosten in den Praxen zu decken. Um den drohenden Praxenkollaps zu verhindern, muss der OW für 2024 um 10,2 Prozent steigen, um einen vollen Inflationsausgleich zu gewährleisten und das Gehalt der Praxismitarbeiter auf ein auskömmliches Maß anheben zu können.
Mit dieser Forderung war die Kassenärztliche Bundesvereinigung vor zwei Wochen in die Finanzierungsverhandlungen gestartet, doch zeichnet sich aktuell kein Entgegenkommen seitens der gesetzlichen Krankenkassen ab. Diese bieten lediglich einen Anstieg um 2,1 Prozent an. „Was die Kassen bewusst auszuklammern scheinen, ist, dass Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Praxen am Ende zwangsläufig auch zulasten der Patientinnen und Patienten gehen. Statt den Orientierungswert dauerhaft von der aktuellen Kostenentwicklung abzukoppeln und durch eine falsch verstandene ‚Konsolidierung‘ weiter die Hand ans Fundament der medizinischen Versorgung von Millionen Bürgerinnen und Bürgern zu legen, muss ein Umdenken her und endlich erkannt werden, dass ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem ohne die Vertragsärzteschaft nicht zu haben ist“, kommentiert der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) die derzeitige Verhandlungsrunde.
Laut Berechnungen des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung fehlen dem ambulanten Bereich allein in diesem Jahr 2,8 Milliarden Euro. Während die Krankenhäuser fortwährend mit immer weiteren Subventionierungen bedacht werden, verzeichnet jede Praxis damit also einen Umsatzverlust von rund 28.000 Euro. „Der herrschenden Unterfinanzierung und Benachteiligung der Praxen gegenüber den Krankenhäusern muss ein Ende gemacht werden!“, mahnt der KV-Vorstand.
Wie weit die Schere inzwischen auseinanderklafft, verdeutlicht die Entwicklung des finanziellen Spielraums der Praxen im Vergleich zum stationären Bereich. Berücksichtigt man Personalnebenkosten und Arbeitszeiten, verdienen Selbstständige in eigener Praxis heute rund 20 Prozent weniger als eine Oberärztin oder ein Oberarzt in der Klinik – eine Diskrepanz, die umso schwerer wiegt, als das Gehalt eines Oberarztes ursprünglich eine wichtige Orientierungsmarke bei der Bewertung von Leistungen im ambulanten Bereich darstellte. Für die KVSH ist dies ein eindeutiges Zeichen dafür, dass das jetzige Verhandlungsprozedere nicht mehr funktioniere. „Was wir brauchen, ist eine angemessene Vergütung auf Basis einer Finanzierungssystematik, die Kostenentwicklungen nicht erst retrospektiv, nach zwei Jahren, sondern frühzeitig erfasst und damit auch den Unternehmerlohn berücksichtigt. Die vergangenen Jahre belegen, dass das Prinzip der Finanzierungsverhandlungen nicht funktioniert und die Schlechterstellung der Praxen vielmehr zementiert. Es braucht deshalb schnell ein verbindliches und langfristig angelegtes Maßnahmenpaket zur Beseitigung der seit Jahren herrschenden Unterfinanzierung und zunehmenden Benachteiligung der Praxen gegenüber dem stationären Bereich – nicht zuletzt auch als positives Signal für den Nachwuchs von Ärzten, Psychotherapeuten und Medizinfachberufen für die ambulante Versor-gung unserer Bevölkerung,“ stellt Dr. Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der KVSH, klar.
„PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg!“ – Bundesweite Aktion der Kassenärztlichen Vereinigungen
Diese Pressemitteilung veröffentlicht die KVSH im Rahmen der bundesweiten Aktion aller Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) unter dem Titel „PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg!“ Die 17 bundesweiten KVen veröffentlichen in ihren Bundesländern gleichlautende Mitteilungen, um auf die akut gefährdete Situation der ambulanten Versorgung aufmerksam zu machen. Hintergrund sind die Finanzierungsverhandlungen auf Bundesebene, die am 9. August gestartet sind.
Höhepunkt der Aktion war eine gemeinsame Krisensitzung der Vertreterversammlungen aller KVen gemeinsam mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am 18. August in Berlin, an der ärztliche und psychotherapeutische Vertreterinnen und Vertreter aus ganz Deutschland teilnahmen. Mehr Informationen finden Sie auf der Website der KBV: www.kbv.de/html/praxenkollaps.php